Der Sitz des Reiters

Grisone Pluvinel Newcastle Guérinière
Zum Sitz allgemein finden wir bei Grisone wenig, er beschränkt sich auf die Beschreibung der Einzelheiten. Das hier über den Einsatz des Körpers gesagte laßt aber den Schluss zu, das auch zu seiner Zeit feinfühlig mit den Gewichtshilfen gearbeitet wurde, was einen losgelassenen, unverkrampften Reiter vorrausetzt. Der Holzschnitt gibt dies allerdings in keiner Weise wieder.

Es ist zu oben angezeigten übungen des tummelns/ nutzlich und gut/ das du mit dem leib den volten zugebst oder helfest/ damit dir aber solches desto leichter/ will ich etwas klärerst davon meldung thun. Wann das Pferd auf die gerechte Seyten die Volta macht/ so begleit es/ das ist/ gib ihm zu mit geraden Leib (dann auff keine Seyten sich zuhencken) also: das du allein die gelincke Schulter ein wenig gegen des Roß gelinck Ohr wendest/ und das minder oder weniger/ nachdem du befindest/ das die Notturfft erfordert. Und wann der Leib etwas hinderwerts hanget/ gibts im desto mehr hilff/ sonsten aber/ oder in andren fällen in keinen weg. Gleicher gestalt in der Volta/ so du auff die gelincke hand nimpst. Dise hilf wird im ein groß gegengewicht geben/ das fein gerecht widerumb in fußpfad falle. Dann auff dise weis nit allein der leib/ sondern auch die ganze person hilflich.

Dieser Text aus der Augsburger Ausgabe von 1570 legt wegen seiner uns heute verschroben erscheinenden Sprache eine neue Übersetzung nahe. Leider gibt es wenig Menschen, die das Italienisch des Cinquecento übersetzen können und gleichzeitig gute Kenner der Reitkunst sind.
Die Bilder der deutschen Ausgabe sind von einem deutschen Künstler neu anefertigt worden. Sie unterscheiden sich deutlich von denen der itlaienischen Originalausgabe von 1550.
Der Stich zeigt den Marquis de Thermes. Pluvinel stellt ihn dem König vor als Beispiel für einen perfekt sitzenden Reiter des fürtrefflich Ingenium und hoher Verstand/ das er nicht allein diese Kunst vollkommen begriffen/sondern auch in so kurzer Zeit das es schier unglaublich. Dann er näher als in zweyen Jahren ein guter und vollkommemer Reuter worden....Seht doch wie ein freudig Angesicht er hat/ welches zwar ein notwendiges Stück an einem Reuters-mann ist/ das er fein frish und fröhlich ins Gelag sehe... wie er im Sattel sitzt/ das er solchen kaum berühret außer in der Mitte/ sich hütend/ damit er mit dem Unterleib den Effter nicht anrühre/ und dadurch zu sitzen komme/ dann man sich so aufrichtig im Sattel halten muss/ als stünde man mit den Füssen auff der Erde. Die beyde Schultern hält er gleich/ den Bauch etwas für sich biegend/ das eine kleine Höhle erscheine im Rücken/ oberhalb den Gürtel.

Anstatt ausdrücklich jede Verspanntheit des Reiters zu verurteilen, begnügt sich Pluvinel damit, auf das "freudige Angesicht" des Reiters hinzuweisen. Conciderez la gayetè de son visage, car c'est une des parties tres requises au Chevalier....
Auch der Zeichner der Pluvinel-Stiche scheint wenig eigene reiterliche Erfahrung gehabt zu haben. Die Reiter wirken steif, es ist nicht möglich, in dieser Haltung harmonisch zu reiten. Heiter und fröhlich kann man in dieser steifen Haltung auch nicht in die welt schauen.
Viele Details des Textes stimmen nicht mit dem Bild überein. ( z.B.: "als stünde er mit den Füssen auf der Erde")
Newcastle fasst sich erfrischend kurz, was den Sitz des Reiters angeht.

Wenn der Reiter erst einmal im Sattelsitzt ( ich nehme an, dass jeder weiß, wie man ein Pferd besteigt) muß er sich aufrecht vermehrt auf die Inneseite seiner Oberschenkel setzen und nicht auf seinen Hintern, wenn auch die meisten Leute denken, die Natur hätte sie dazu geschaffen auf diesem zu sitzen. Wenn er so auf der Innenseite seiner Oberschenkel mitten über dem sattel sitzt, muß er soweit wie möglichin Richtung des Sattelknaufs vorrücken und eine Handdicke zwischen dem Hinterzwiesel und seinem Rücken lassen.

Ganz entschieden wendet er sich gegen jede Art von gezwungenener Steifheit, die aus unelastischem Einnehmen von gezierten Posen resultiert.

Ich glaube nicht, dass sich festmachen sollte wie ein Pfahl oder dass er wie eine Statue auf dem Pferd sitzen sollte, sondern im Gegenteil, er sollte eine freie und ungezwungene Haltung annehmen wie sie beim Tanzen auf freie Art zum Ausdruck kommt. Daher möchte ich, dass ein Herrn auf dem Pferderücken ohne Steifheit und Förmlichkeit erscheint, das würde ehr zu einem Schüler als zu einem Meister passen, und ich konnte niemals solche Förmlichkeit beobachten ohne dass mir der Reiter unbeholfen und albern erschien.
Guérinière beschreibt in enzyklopädischer Breite und in allen Einzelheiten, was alles zu beachten ist, bevor man das Pferd besteigt. Jeder einzelne Riemen, sattel und Gebiss sollen auf korrekte Funktion hin kontroliert werden. Bei allem was auf dem Pferd zu beachten ist beruft er sich auf Newcastle. Er glaubt also nicht, etwas Neues in dieser Hinsicht gefunden zu haben.

Der Herzog von Newcatle sagt: dass ein Reiter zwei bewegliche und einen unbeweglichen Teil haben müsse. Die beweglichen sind: der obere Teil des Leibes bis zum Gürtel und die Schenkel von den Knieen bis zu den Füßen. Der andere Teil ist vom Gürtel bis zu den Knieen. Wegen dieses Prinzips bestehen die oberen beweglichen Teile aus dem Kopf, den Schultern und den Armen. Der Kopf muss gerade und frei über den Schultern stehen, indem man zwischen den Ohren des Pferdes durchsieht, Die Schultern müssen ebenfalls sehr frei und leicht zurückgenommen werden, denn wenn der Kopf und die Schultern vorfielen, so würde das Gesäß aus dem Sattel kommen, was außer dem häßlichen Anblick das Pferd veranlassen würde, auf der Vorhand zu gehen und ihm bei der geringsten Bewegung Gelegenheit geben würde, nach hinten auszuschlagen. Die Arme müssen in den Ellenbagen angewinkelt, zwanglos an den Leib gelegt werden und natürlich auf die Hüften herab sinken.

Wie die anderen Autoren legt auch Guérinière größten Wert auf Ungezwungenheit (sans contrainte, naturellement). Der feste Sitz soll nicht nur aus den klammernden Unterschenkeln und Knieen entstehen sondern aus dem Gleichgewicht (l'Équilibre) , genauer dem durch elastisches Mitschwingen der Mittelpositur ergebenden gleichbleibenden Kontakt zum Sattel. Dass man hierzu einen ausreichenden Knie- und Oberschenkelschluß benötigt, betonen Guériniére und Newcastel ausdrücklich.


Der Sitz des Reiters in Renaissance und Barock
Über den Sitz des Reiters in Barock und Renaissance sind aus den spärlichen Schrift- und Bildquellen häufig falsche Schlüsse gezogen worden. Zu keiner Zeit wird ein begabter, einfühlsamer Reiter steif und unelastisch auf seinem Pferd gesessen haben. Werder Mensch noch Pferd würden dabei lange gesund bleiben. Wenn Bilder in historischen Reitlehren diesen Eindruck vermitteln, sind sie als Quellen kritisch zu betrachten. Oft waren die Zeichner nicht in der Lage, Harmonie zweischen Reiter und Pferd wiederzugeben.

zurück zur [ Hauptseite]